Neujahrsvorsatz: Ich kaufe ein Jahr lang nichts.
Warum ich mir vorgenommen habe, ein Jahr lang nichts zu kaufen: Ein Essay in der Schweiz am Sonntag.
Ich kaufe nichts!
Ein Neujahrsvorsatz
Die Weihnachtsbescherung war gut: Wir haben neue Bettwäsche, die alte Bratpfanne ist ersetzt, das Weinregal wieder voll. Sogar einen iTunes-Gutschein gab’s, und ein neues Flacon Eternity. Damit bin ich bereit für 2015. Ich schaue mich um, im Kleiderschrank, im Bad, in der Küche, im Keller: Ich habe alles, was ich brauche, viel mehr als das sogar. Auch nach längerem Nachdenken fällt mir nichts ein, das mir fehlen könnte im kommenden Jahr. Deshalb fass ich jetzt diesen Vorsatz:
Ich werde 2015 nichts kaufen.
Natürlich nicht nichts. Esswaren schon, Klopapier auch, Zahnpasta, Putzmittel und dergleichen. Aber nichts, auf das ich verzichten kann ohne zu stinken oder zu sterben. Dienstleistungen? Doch. Ich werde mir die Haare schneiden lassen, ins Restaurant gehen, Skiferien machen, reisen, bloss nicht zu weit weg. Und ganz sicher nicht nach Bali, wo ich diesen Sommer war und aus dem Staunen nicht mehr rauskam: Das vermeintliche Paradies ist in Wahrheit ein brennender Müllhaufen. Die Menschen – wahrscheinlich die schönsten der Welt, Ästheten bis in die Fingerspitzen, auf entzückende Art reinkarnationsgläubig – diese Menschen haben nicht den geringsten Plan, wo sie mit all dem Zeugs hin sollen, das sie (und vor allem wir Touristen) wegwerfen. Wenn man in einer Abfallhalde stochert, oder einfach mal dem Meer entlang geht, das knallbunte Strandgut durchwatet, dann findet man vor allem Dinge, die entweder noch voll funktionstüchtig wären – Plastikgeschirr, ein Baseballcap, eine Sonnenbrille, ein ganzes Surfbrett – und/oder welche deren Besitzer wohl gar nie wirklich gebraucht hätten. Ein paar rosa Flipflops, die ich finde, sehen nigelnagelneu aus, vom Sand schön reingewaschen. Bloss gefiel der kleinen Cindy, Lea, Mareike wahrscheinlich Tintenfisch Patrick nicht mehr, der von der Sohle grinst. Ihre Eltern sind nicht besser: Gleich nebendran liegen eine Amy-Winehouse-Perücke und ein Flaschenöffner in Penisform. Muss ein lustiges Strandfest gewesen sein.
Es war dieser Bali-Urlaub, der mich auf die Idee gebracht hat, mal ein Jahr lang nichts mehr zu kaufen. Ich bin kein Asket, kein Marktwirtschaftsfeind, kein Fundi, kein Aktivist. Bloss ziemlich angewidert von dem Unsinn, den wir Tag für Tag zelebrieren – das heisst, produzieren, konsumieren und gleich wieder ausrangieren. Das ist hier, in der Schweiz, noch viel schlimmer als auf Bali, nur stinkt es nicht so offensichtlich zum Himmel wie die Mottfeuer dort. Eine Freundin kam neulich bei uns vorbei mit drei ungetragenen Paar Schuhen, «Fehlkäufe», wie sie sagte – haben halt doch nicht gepasst. Ein Kollege hat sein iPhone 6 gleich noch mit einem iPhone 6 Plus ergänzt – so ganz sicher sei er noch nicht, welche Bildschirmgrösse ihm besser passe. Ein anderer Freund tauscht jetzt gerade zum vierten Mal den Wagen – innerhalb von vier Jahren. Ich selbst habe letzten Herbst zweimal denselben Mantel gekauft – einmal in Grau und einmal in «Schlamm». Wir sind komplett irr geworden.
Was aber, wenn wir diesen Irrsinn einfach mal stoppen würden? Das würde ja heissen: Konsumverzicht. Würde heissen: weniger Umsatz. Weniger Bruttosozialprodukt. Weniger Wachstum. Weniger Wohlstand. Würde heissen: weniger von alldem, womit wir aufgewachsen sind, was wir uns gewohnt sind, worauf wir stolz sind. Wir, die Wachstumsnation, das reichste Land der Welt, wohlhabend und trotzdem nicht fett geworden, nicht träg, immer im Aufstieg. Diesen Aufstieg sollten wir stoppen? Das ist mir dann doch unheimlich geworden. Ich persönlich kann ja durchaus mit ein bisschen weniger auskommen, klar, was aber wenn, die ganze Schweiz mit einem Mal ihren Konsum um, sagen wir, einen Fünftel drosselt? Würde das den Kollaps bedeuten, das Ende eines Erfolgsmodells? Ich habe nachgefragt bei einem, der es wissen muss, bei Reiner Eichenberger, dem Fribourger Wirtschaftsprofessor. Seine Antworten haben mich überrascht.
Vorausgesetzt, sagt Eichenberger, es kommt zu einem solchen «Nachfrageschock» und wir kaufen tatsächlich weniger, während der Rest der Welt weiter wächst wie bisher. Dann würden die Inlandpreise sinken und es würde weniger importiert, gleichzeitig aber stiegen die Exportmengen. Wir hätten mehr Arbeitslosigkeit, ja – allerdings nur vorübergehend, bis sich sowohl die Löhne und Preise als auch die Wechselkurse den neuen Verhältnissen angepasst hätten. Es würde weniger investiert, manche Branchen würden kurzfristig leiden. Langfristig aber, sagt Eichenberger, wäre das «überhaupt kein Problem». Wir hätten «tiefere Arbeitszeiten, ein bisschen mehr Ferien, und natürlich tiefere Einkommen». Wahrscheinlich, vermutet er, «würde sogar die Effizienz steigen, weil die meisten von uns eher zu viel arbeiten.» Nun könnte es aber auch sein, dass wir zwar weniger konsumieren, aber gleichzeitig weiter malochen möchten. Dann hätten wir bei tieferer Güternachfrage ein höheres Arbeitsangebot. Preise und Löhne würden fallen, Investitionen würden attraktiver. Das wäre, sagt Eichenberger, «ein wenig wie bei den Chinesen»: Die Schweizer Volkswirtschaft würde wachsen, die Exportmärkte davon profitieren.
Ein Untergangszenario klingt anders. Ich dachte eigentlich, Professor Eichenberger würde mir ein schlechtes Gewissen machen, wie das zum Beispiel The Economist tut, die britische Wirtschaftszeitung, der ich immer zu glauben geneigt war. Ich dachte, er würde in dasselbe apokalyptische Horn blasen, den Deflationsteufel an die Wand malen. Weit gefehlt, seine Projektionen – und auch der Ton, in dem er sie beschrieb – wirkten geradezu heiter. Eine Zeit lang ein bisschen mehr ALV, bis sich alles wieder einpendelt, damit könnte ich leben, definitiv. Noch besser: Die könnte ich mir dann aus eben dem Geld leisten, dass ich für unnützes Zeug nicht mehr ausgeben werde.
Also stürze ich mich ins Nichtkauferlebnis. Um meine neue Haltung zu testen, ja, dem grösstmöglichen Stresstest auszusetzen, gehe ich die Zürcher Bahnhofstrasse runter, diese Miracle Mile des Konsumismus, an der eine Reihe von Läden steht, die ich immer gerne besucht habe und selten mit leeren Händen verliess. Es geht viel einfacher, als ich dachte. Es macht geradezu Spass, nicht zu kaufen! Man muss nur den Spiess umdrehen, nicht «Gebt mir dieses Zeug!» denken, nicht «Ich will das! Jetzt!» sondern umgekehrt: «Dieses Zeug wollt ihr mir andrehen? Diesen Ramsch? Weg damit! Hinfort! Unholde Krämerseelen, ihr!» Jedes einzelne Angebot gilt es so als Angriff zu verstehen, als Angriff auf die persönliche Vernunft, und diesen Angriff gilt es abzuschmettern. So gerät man, ehe man sich versieht, in einen veritablen Nichtkaufrausch.
Als erstes ist Ochsner Sport dran. Hier habe ich vor genau zwei Jahren ein neues Paar Ski gekauft. Sackteuer waren die, Salomon 3V Lab Edition. Jetzt steht das neue Modell im Fenster. Aber wisst ihr was, liebe Ochsners? Diese Ski sind im Kern noch genau dieselben, hat mir ein Skilehrer-Freund verraten, bloss anders angemalt. Nein, ich kaufe nichts! Vergesst es!
Dann kommt Diesel, die mit der super Werbung, und mit den Hosen meines Vertrauens. Perfekt geschnitten, immer. Sehr gut verarbeitet auch. Deshalb sehen wir uns in frühestens einem Jahr wieder, liebe Italohipster! Vielleicht sind dann eure Hosensäume auch wieder mal weit genug, um über meine Stiefel zu passen.
Apple-Shop. Okay, das wird hart. Mein Nokia C3 ist mittlerweile, was der Name anzudeuten scheint: drittklassig in jeder Beziehung. Den längst überfälligen iPhone-Kauf hatte ich für 2015 fest eingeplant. Aber weisst du was, Tim Cook? Weisst du was, Jony Ive? Dieses neue iPhone 6 (das ich, siehe weiter oben, in beiden Varianten begutachten durfte), sieht irgendwie einfach nicht richtig aus. Diese Antennenleisten, lächerlich. Diese Goldvariante, pffff. Und warum eigentlich ist dieser Saphirscreen nicht gleich randabfallend von oben bis unten? Warum noch ein Home-Button, wenn ihr doch so stolz auf Touch ID seid? Think again, Apple, think different. Dann sprechen wir uns in einem Jahr wieder.
Orell Füssli. Bücher? Hahaha, Bücher. Bücher, ist das euer Ernst? Davon habe ich noch 14, die ich gekauft aber noch nicht gelesen haben, und ausserdem will ich – hätt ich nur Zeit – endlich wieder ein eigenes schreiben. Bin also grad gut bedient, danke.
Gleich danach kommt Landolt-Arbenz, offizieller Caran d’Ache-Händler, und damit offizieller Händler meiner offiziellen Lieblingsmarke. Warum? Weil ich vor vielen Jahren einen silbernen Caran d’Ache-Feinminenhalter zum Geburtstag bekam, und Caran d’Ache den, wann immer er kaputt war, kostenfrei repariert hat. Das wird auch nächstes Mal so sein, da hab ich vollstes Konsumentenvertrauen. Deshalb: Danke, Caran d’Ache. Und sorry, Landolt-Arbenz.
Schliesslich dann, ach, der Franz Carl Weber. Also gut, ich geb mich geschlagen. Ein Mal. Für die Kleinen mach ich eine Ausnahme. Die sollen diese Wegwerfwelt, in der wir leben, ruhig mal kennenlernen dürfen, bevor sie sich, wie ich, triumphierend davon abwenden. Ich kaufe den Lego-Müllabfuhrwagen.