Halbträume

2020/11/7 – Erkenntnis des Tages:

Ich mag doch nicht jeden Tag meines Lebens einen Traum aufschreiben. Träume sind einfach zu einengend. Diese Nacht hab ich zum Beispiel von einem Golden Retriever geträumt. Selbst wenn ich mir alle Freiheiten erlaube («Halbträume») – was soll ich damit anfangen? Blöd ist natürlich, dass ich anfangs Jahr für jeden Tag so ein Textlein versprochen habe. Ich habe aber nie gesagt, dass es genau so ein Textlein sein muss. Deshalb wechsle ich jetzt die Textsorte, und poste statt ätherischer Träume täglich eine handfeste Erkenntnis. So wie diese hier.

 

2020/11/6

Ich träumte von Jugendlichen, die Pamphlete gegen den Klimawandel verteilten – in Badehosen, Bikinis und Flipflops. Auf die Frage, ob sie denn nicht frören, antworteten sie: «Nein, leider nicht.»

 

2020/11/5

Ich träumte, dass ich im Portemonnaie kramte und eine Hunderternote verlor. Ein Junge hob sie mir auf und sagte: «Ich hätte damit davonrennen können. Sie hätten mich nicht eingeholt.»

 

2020/11/4

Ich träumte von einem Yogi, der zu viel Licht gegessen hatte. Als es ihm später im Kino hochkam, wurde er des Saals verwiesen.

 

2020/11/3

Ich träumte von konkreter Poesie. Die Dichterinnen und Dichter stellten sich in eine Museumsecke, und statt sich mit Worten auszudrücken drückten sie sich konkret aus – bis das Blut von den weissen Wänden troff.

 

2020/11/2

Ich träumte von Eichelhähern und Raben, die sich über den Sinn und Unsinn von Verwandtschaftstreffen stritten.

 

2020/11/1

Ich träumte von einer Kürbissuppe, die im Teller aufzuflackern schien – just in dem Moment, als draussen im Garten der Kürbiskopf erlosch. Niemand wollte auch nur einen Löffel davon.

 

2020/10/31

Ich träumte einen grauenvollen Traum: Ein Kind stand vor der Tür, ohne Maske.

 

2020/10/30

Ich träumte, dass Laubbläser ab sofort auch in Innenräumen eingesetzt wurden, zwecks besserer Durchlüftung.

 

2020/10/29

Ich träumte von einem leeren Hörsaal, in dem eine Professorin ihre Vorlesung über das Echo hielt.

 

2020/10/28

Ich träumte, dass ich mit Mina und ihrer Laterne – in der Form eines kleinen Fuchses – durch den nächtlichen Wald wanderte. Da fing die Laterne Feuer und brannte vor ihren Augen ab.

 

2020/10/27

Ich träumte von einem Weltmodell, bei dem ein Seehund die Erdkugel auf seiner Nase balancierte. Dann warf ihm Gott einen Fisch zu, und er liess die Kugel fallen.

 

2020/10/26

Ich träumte davon, eine Band zu gründen, die «The Difference» hiess. Debütalbum: «First Time Is Different».

 

2020/10/25

Ich träumte von Schlittenhunden, die einen steckengebliebenen Motorschlitten aus dem aufgetauten Permafrost zogen.

 

2020/10/24

Ich träumte, dass ich Achterbahn fuhr, so schnell, dass es mir die Haare aus dem Kopf riss.

 

2020/10/23

Ich träumte von der Seeley-Lake-Lärche, der grössten und ältesten Lärche der Welt. Ein Botaniker untersuchte sie, bemerkte Anzeichen von Wurzelfäule, sagte ihr aber nichts davon. Sie lebte noch weitere 300 Jahre.

 

2020/10/22

Ich träumte von zwei Nacktschnecken, die sich sehr, sehr liebten, aber blöderweise nicht auf derselben Strassenseite waren. So standen, bzw. klebten sie vor einer schwierigen Entscheidung.

 

2020/10/21

Ich träumte von einem, dem die Selbstverwirklichung spät, aber doch noch gelang. Er hatte Jahrzehnte als Astronaut, Galerist und Philanthrop verlebt, nur um zu merken, dass er im Grund der geborene Drucker-Vertreter war.

 

2020/10/20

Ich träumte von Sleepy John Estes; er sang mit Mina im Duett. Zuerst seinen eigenen «Milkcow Blues», danach «Det äne am Bärgli».

 

2020/10/19

Ich träumte, dass eines Morgens statt der Sonne eine Tomate aufging. Weil aber Hochnebel lag, blieb sie den ganzen Tag lang unbemerkt. Und am nächsten war wieder alles normal.

 

2020/10/18

Ich träumte, dass ich in der Badewanne lag, unter Bergen von Schaum, halb eingeschlafen, als zwischen meinen Beinen ein Fisch hochschnellte. Entsetzt sprang ich aus der Wanne, liess das Wasser ablaufen und starrte ungläubig auf den zusammensinkenden Schaum. Schliesslich hörte ich ein hilfloses Flappen, die letzten Schaumreste schrumpften weg, und ein zuckender Fisch kam zum Vorschein. Es war eine mir unbekannte Art.

 

2020/10/17

Ich träumte, dass ich allein in einem Raum mit einer einzigen Türe war. Ich öffnete sie, ging hindurch, und fand mich in einem nächsten Raum wieder, der exakt gleich aussah wie der erste. Auch er hatte eine einzige Tür, die wiederum in einen gleichen Raum führte. So ging ich von Raum zu Raum, zunehmend gehetzt – ich weiss nicht mehr, wie viele es waren – bis ich in einen kam, auch er identisch, in dem die Tür verschlossen war.

 

2020/10/16

Ich träumte von Rollatoren mit flashy Kotflügeln wie aus den 50ern. Am beliebtesten war ein Modell mit Flammen-Optik und der Aufschrift «Eat My Dust!»

 

2020/10/15

Ich träumte von einem Mädchen, das seine Mutter fragte, warum Hexen so oft mit einer Warze gezeichnet würden. «Keine Ahnung, warum fragst du?» – «Weil du ja selber eine hast.»

 

2020/10/14

Ich träumte, dass der ganze Schnee des Jahres auf einmal fiel. Wumm!

 

2020/10/13

Ich träumte von einem Künstler, der Grundstücke in der Bauzone kaufte und sie asphaltieren liess. Die Kunstwerke sahen aus wie Parkplätze, doch sie durften weder beparkt noch sonstwie benutzt werden – nur bewundert. Übrigens trug der Künstler bei der Arbeit stets einen Baustellenhelm, obwohl ihm keine Gefahr von oben drohte.

 

2020/10/12

Ich träumte, dass ich ein Tagebuch fand, das ich als Bub geschrieben hatte. Leider mit Bleistift – die Seiten waren allesamt verblasst und unlesbar.

 

2020/10/11

Ich träumte vom Boden der Realität. Er war in Wirklichkeit gar nicht hart, sondern hüfttiefer, klebriger Morast.

 

2020/10/10

Ich träumte, dass ich völlig regungslos mitten auf der Tanzfläche stand. Ich konnte mich nicht bewegen. Die Leute stiessen sich ab und zu an mir, doch ich schien sie nicht zu stören.

 

2020/10/9

Ich träumte von einem Kieselstein. Er war unter den Tausenden von Kieseln, die um ihn rumlagen, ganz eindeutig der schönste und interessanteste. Trotzdem fiel er niemandem auf und wurde, wie die andern, mit Füssen getreten.

 

2020/10/8

Ich träumte, dass ich den WC-Deckel öffnete und mir jemand aus dem Ablauf eine Hand entgegenstreckte. Statt zu helfen, drückte ich sofort die Spüle.

 

2020/10/7

Ich träumte, dass ich mir vornahm, statt Geschichten GESCHICHTE zu schreiben. Weil aber der Anfang schon feststand (Urknall), und das Ende ebenfalls (Sonne erlischt), verlor ich bald die Motivation.

 

2020/10/6

Ich träumte, dass ich eine Amerikanerin fragte: «What do you do?» – Sie gab zur Antwort: «I do what I can.»

 

2020/10/5

Ich träumte, dass sich eine Frau ins Innere des Ponte Towers stürzte, eines riesigen, zylinderförmigen Wohnturms in Johannesburg. Sie überlebte, weil der Schacht bis zum dritten Stock mit Müll aufgefüllt war.

 

2020/10/4

Ich träumte, dass ich allein zu Hause war, Kleider bügelte und Musik hörte. Plötzlich sagte eine Stimme: «Machst du mir einen Lindenblütentee?» Ich zuckte zusammen, stellte die Musik leiser, konnte aber nichts mehr hören. Im Haus war es still, draussen ebenso, nur das Bügeleisen dampfte. Ich drehte die Musik wieder auf, strich die Falten aus dem Hemd auf dem Brett, nahm das Eisen zur Hand und bügelte weiter, als jemand hinter mir sagte: «Machst du mir einen Lindenblütentee?» Ich fuhr herum und liess vor Schreck einen Fleck in die Hemdbrust brennen, während mir kalter Schweiss auf die Stirne trat. Erst dann konnte ich zum Telefon rennen und die Musik abdrehen. Ich rief die Polizei an und erklärte meine Situation. Der diensthabende Polizist nahm mich zum Glück ernst oder tat zumindest so, und versprach, jemanden vorbeizuschicken. Inzwischen solle ich einfach bleiben wo ich sei und ganz ruhig warten. Ich schloss mich vor Angst im Schlafzimmer ein. 10 Minuten später klingelte es. Ich überwand mich und schlich, ohne links und rechts zu schauen, durch den Flur zur Haustür. Meine Erleichterung war riesig, als eine freundliche Polizistin da stand. Ich bat sie herein und ins Wohnzimmer, in dem ich gebügelt hatte. Sie schien nicht sonderlich besorgt, setzte sich und schaute sich um. Ihr Gesicht schien jung und gleichzeitig alt. Ich fragte sie, was ich ihr anbieten dürfe. Sie schaute mir lange in die Augen und sagte: «Einen Lindenblütentee.»

 

2020/10/3

Ich träumte von drei Babyboomern, die sich «The Pretty Old» nannten. Sie sangen Harmonien wie Crosby, Stills & Nash und wechselten, wenn der Rücken zwickte, ohne Unterbruch von Gitarre auf Farfisa.

 

2020/10/2

Ich träumte von St. Leodegar, dem ich heute einen freien Tag verdanke. Er sass in der Jazzkantine, hoffte und fürchtete halb, dass ihn jemand erkannte, und bestellte einen Suffering Bastard.

 

2020/10/1

Ich träumte, dass Mina schrie, wachte auf, und fand sie friedlich schlafend. Als ich nun selbst wieder einschlief, hörte ich sie im Traum ein zweites Mal schreien, wachte ein zweites Mal auf, fand sie schlafend, und so ging das bis tief in die Nacht. Schliesslich schlief ich vor Erschöpfung so tief, dass ich ihre wirklichen Schreie nicht hörte.

 

2020/9/30

Ich träumte von einem alten Mann, der glaubte, die Erde bewege sich. Wo immer er hinschaute, wölbte sie sich, bäumte sich auf und sank wieder zusammen. Er wankte vom Garten ins Haus hinein. Dort fand er seine Frau am Boden liegend. Sie hatte seine Brille auf.

 

2020/9/29

Ich träumte von einem Lyrikband, «Der Wind in deinem Achselhaar». Habe dann beschlossen, ihn nicht zu schreiben.

 

2020/9/28

Ich träumte, dass ich eines Morgens nur noch Suaheli sprechen konnte und mich selbst nicht mehr verstand.

 

2020/9/27

Ich träumte von fliegenden Untertassen. Sie hatten die Erde verlassen, aus Protest gegen all die Kaffeetrinker, die glaubten, auf sie verzichten zu können. Jetzt kamen sie aus dem All zurück und zerstörten jeden einzelnen Mug und alles, was nicht Porzellan war. So machten sie den Planeten bereit für eine neue Kaffeekultur.

 

2020/9/26

Ich träumte von einem Gedanken, der so tief war, dass alle, die ihm folgten, zeit ihres Lebens nie mehr auftauchten.

 

2020/9/25

Ich träumte, dass ich im Restaurant «Bä» ass, einem Lokal, das meine Tochter (3) nach Eigenaussage führt. Das Essen war interessant, wenn auch – wie in fiktiven Restaurants üblich – nicht besonders sättigend.

 

2020/9/24

Ich träumte von einem Zaunkönig, der sich auf die Grösse eines Auerhahns aufplustern wollte. Er stellte seine Federn, worauf ihn ein Windstoss von seinem Ästlein wehte.

 

2020/9/23

Ich träumte von einem Typen, der aussah wie Charles Manson, mit demselben, stechend irren Blick. Doch im Traum machte er Alpkäse.

 

2020/9/22

Ich träumte von Sigmund Freuds Ururenkel. Er widmete sich dem «Überbewussten» – einer künstlichen Intelligenz, die im Vornherein wusste, was wir tun würden, und uns wenn nötig stoppte.

 

2020/9/21

Ich träumte, dass ich einen Zug verpasste und ihm hinterherrannte. Was ich vor lauter Keuchen nicht hörte, war der nächste, der von hinten heranbrauste.

 

2020/9/20

Ich träumte von einem Picknick-Kurier, der jeden Ort der Welt bediente. So konnte man sich zum Beispiel Tapas nach Nowaja Semlja liefern lassen, oder ein 12-Gang-Candlelight-Dinner in den Dschungel von Borneo. Das Essen wurde von Drohnen gebracht; ebenso die Roboter, die den Tisch deckten, kochten und abwuschen. Auf Wunsch sangen sie auch Happy Birthday.

 

2020/9/19

Ich träumte von einer Sonnenbrille, die derart viel Licht reflektierte, dass sie – wenn von genügend Leuten getragen – das Klima abcoolen konnte.

 

2020/9/18

Ich träumte, dass ich in einem Biergarten sass, durch das Blätterdach in den Himmel schaute und dachte: «Was für ein göttlicher Tag.» Worauf mir eine ungeschälte Kastanie ins Auge fiel.

 

2020/9/17

Ich träumte von einem Kirchturm, dessen Zwiebeldach – völlig unerwartet, in dieser Jahreszeit sowieso – eines Morgens plötzlich zu spriessen begann.

 

2020/9/16

Ich träumte von einem Kind, das morgens aus seinem Bettchen kletterte, und dann auf das WC seiner Eltern. Es rutschte in das Loch und verkeilte sich derart, dass es sich nicht mehr hochziehen konnte. Es schrie, der Vater eilte herbei, doch als er es sah, entschloss er sich, erst mal sein Telefon zu holen und es in seiner misslichen Lage zu filmen. Die Mutter brachte den Vorfall später zur Sprache, als es um das Sorgerecht ging. Das Kind allerdings zeigte das Filmchen zeit seines Lebens herum, wo es konnte. Es machte Karriere als Comedian, und das Video blieb fester Bestandteil all seiner Programme.

 

2020/9/14

Ich träumte, dass ich eine Menge Leute bat, mir den Buckel runterzurutschen. Sie taten alle wie geheissen, doch ich brach unter der Last zusammen.

 

2020/9/13

Ich träumte von einem Berg, dessen Gipfel zu jeder Zeit in den Wolken lag. Geographen hatten ihn zwar vermessen, doch gesehen hatte ihn nie jemand. Touristisch war er nutzlos, und als die letzten Leute gestorben waren, die ihn als Sitz der Götter verehrt hatten, trug ihn eine Bergbaugesellschaft ab.

 

2020/9/12

Ich träumte von einer Notlandung. Unser Flugzeug stand irgendwo in der Tundra. Holz gab es jede Menge, auch Papier – von all den Bordmagazinen – doch als einziger Passagier hatte ich nur ein einziges, letztes Streichholz dabei. Ich hielt es fest zwischen den Fingern, so nahe am Kopf wie nur möglich, und strich es mit allergrösster Konzentration über die Zündholzschachtel. Als es brannte, stiegen mir Tränen der Erleichterung in die Augen. Eine davon fiel auf das Zündholz.

 

2020/9/11

Ich träumte, ich sei ein Wald. Ein uralter Wald, aber gleichzeitig einer, der nie sterben musste: Wann immer die morschen Bäume in mir umfielen, wuchsen neue nach.

 

2020/9/10

Ich träumte von Bauchmuskeln. Dann stand ich auf, nahm sie aus dem Kühlschrank und marinierte sie mit Senf.

 

2020/9/9

Ich träumte von jemandem, der mir half, wann immer ich einen Fehler machte – egal, was der Fehler war. Ich wachte auf und stellte fest, dass das die Definition von «Freund» ist.

 

2020/9/8

Ich träumte, ich sässe am Boden eines tiefen Schachts, völlig allein. In dem kleinen, runden Stück Himmel über mir tauchte ab und zu ein Korb an einem Seil auf, der alles enthielt, was ich brauchte. Antwort auf meine Rufe bekam ich aber nicht, und auch keine Chance zur Flucht.

 

2020/9/7

Ich träumte von einem weissen Pulli und von einem Teller Spaghetti.

 

2020/9/6

Ich träumte, dass ich im Frühling einen jungen Dornenhain durchquerte; die Dornen waren weich wie Flaum. Als ich im Herbst zurückkehren wollte, war kein Durchkommen mehr.

 

2020/9/5

Ich träumte, dass ich als Plankton wiedergeboren wurde und Ausschau nach meinen Eltern hielt. In dem Schlund des Blauwals, in dem ich mich befand, waren sie aber schwierig zu finden.

 

2020/9/4

Ich träumte, dass Don Henley und Don Felder als «The Dons» auftraten, als Support-Band für «The Donnas».

 

2020/9/3

Ich träumte von einem Regenwurm. Er lag mitten auf der Strasse in der Sonne, kringelte sich vorwärts, doch es war klar, dass er die Wiese am Strassenrand kaum lebend erreichen würde. Ich hob ihn auf und warf ihn ins Gras. Noch im Weglaufen sah ich, wie eine Amsel aus dem Gebüsch kam und ihn aufpickte.

 

2020/9/2

Ich träumte davon, dass die Pendler morgens statt in den Zug auf ein Tandem sassen – ein Tandem mit Hunderten von Sitzen. Alle mussten ein bisschen strampeln.

 

2020/9/1

Ich träumte von einem tropfenden Wasserhahn. Als ich aufstand, um ihn zuzudrehen, war das Waschbecken mit Blut gefüllt.

 

2020/8/31

Ich träumte, dass ich eine Kollegin zum dritten Mal nach ihrem Namen fragte. Sie sagte: «Jetzt sag ich ihn dir nicht mehr; offenbar interessiert er dich einfach nicht.»

 

2020/8/30

Ich träumte von Kirchenglocken. Ein Politiker setzte sich für ihr Verbot ein und bekam dafür einigen Zuspruch. Als sich rausstellte, dass er ein Hörgerät trug, wurde er abgewählt.

 

2020/8/29

Ich träumte von dem Keller, wo der Bartli den Most zu holen pflegt. Er war bis auf eine Flasche abgelaufener Bionade leer.

 

2020/8/28

Ich träumte von einer Death-Metal-Band, die sich «The Cancel Culture» nannte. Sie plante gigantische Welttourneen, die dann jeweils frühzeitig abgesagt wurden.

 

2020/8/27

Ich träumte, dass es klingelte und die Polizei vor der Tür stand. Ich musste den Kühlschrank und die Tiefkühlfächer öffnen. Dann gingen sie wieder.

 

2020/8/26

Ich träumte von einem riesigen Parkplatz, der kein bisschen Schatten kannte. Ich irrte herum und suchte mein Auto. Als ich es endlich fand, merkte ich, dass ich den Schlüssel verloren hatte.

 

2020/8/25

Ich träumte von einer elektrischen Zahnbürste für Nostalgiker; mit Dieselmotor.

 

2020/8/24

Ich träumte von der Realität, wachte auf und freute mich einen kurzen Moment, dass ich alles nur geträumt hatte.

 

2020/8/23

Ich träumte von der Grafschaft Somerset, ohne zu wissen, wo genau die eigentlich liegt. Die Menschen ritten auf Apfelschimmeln und sahen aus wie Peter Gabriel.

 

2020/8/22

Ich träumte von einem Schwamm, der allen Geifer und alles Gift dieser Welt aufsog. Jetzt lag er schwer in meiner Hand, und ich sollte ihn ausdrücken.

 

2020/8/21

Ich träumte von einem alten Brunnen, der eigentlich ein Jungbrunnen war und ewiges Leben spendete. Weil er aber ziemlich vermoost aussah und ausserdem «Kein Trinkwasser» dranstand, trank nie irgendjemand davon. Seine Wirkung blieb unbekannt.

 

2020/8/20

Ich träumte von einem brennenden Busch. Ich suchte das Gespräch mit ihm, doch er knisterte mir nur zu.

 

2020/8/19

Ich träumte von einem Magazin; es hiess «Klaus – Das Magazin für alte weisse Männer». Nach bescheidenem Anfangserfolg wurde es schon bald von der «Brigitte» geschluckt.

 

2020/8/18

Ich träumte von Ivan dem Schrecklichen. Ich habe mich nie mit ihm befasst, habe keine Ahnung, wer er war und was er allenfalls Schreckliches tat. In dem Traum strich er ein Butterbrot.

 

2020/8/17

Ich träumte von einer besseren Zukunft. Als ich aufwachte, stellte ich fest, dass sie bereits dagewesen war und ich sie verschlafen hatte.

 

2020/8/16

Ich träumte, dass mich der Grosse Wagen abholte und ins All hinaus zog. Es stellte sich heraus, dass er keine Ahnung hatte, wohin wir fuhren.

 

2020/8/15

Ich träumte von der italienischen Flagge: Links keimte basilikumgrüne Hoffnung, in der Mitte zog sich ein Prozess dahin wie die Fäden warmer Mozzarella, und rechts stand ein tomatenrotes Defizit.

 

2020/8/14

Ich träumte von einem Mann, der jeden Tag zum Aletschgletscher hochwanderte. An einem der letzten Tage des Hitzesommers 2046 setzte er sich oben hin, zog eine Whiskyflasche aus dem Rucksack, schenkte sich ein Glas davon ein und trank es mit dem allerletzten Stück Eis, das vom Gletscher übrig war.

 

2020/8/13

Ich träumte von einem Werwolf, der eines Nachts plötzlich selbst nicht mehr an sich glaubte und darob in entsetzliches Geheul ausbrauch.

 

2020/8/12

Ich träumte, dass alles wie am Schnürchen lief – und schnurstracks in eine Sinnkrise.

 

2020/8/11

Ich träumte von Hinterzarten – von der Art, wie die Gartenzäune dort, aus grob gezimmerten Latten, einladen, Morgenstern zu deklamieren.

 

2020/8/10

Ich träumte von dem berühmten Abseits, in das niemand geraten will. Es war friedlich dort, und sehr erholsam.

 

2020/8/9

Ich träumte von der Badi. Ein Bub rammte den leeren Holzstängel seiner Glacé in den Boden. Der Stängel stiess auf einen Stein. Was der Bub nicht wissen konnte: Dass über ebendiesen Stein in diesem Moment ein Regenwurm kroch. Der Wurm erlitt schwerste Verletzungen, starb aber nicht daran, sondern teilte sich in zwei Lebewesen auf, wie das bei dieser Tierart möglich ist. Beide lebten noch gut drei Jahre – ein hohes Alter für Regenwürmer – und keiner von beiden sann auf Rache.

 

2020/8/8

Ich träumte, ich bestünde aus Sand.

 

2020/8/7

Ich träumte zuerst, ich sei ein Taucher, danach, ich sei ein Astronaut. Als Taucher tauchte ich tiefer und tiefer, als Astronaut flog ich ins All hinaus. Das Erste war deutlich unheimlicher.

 

2020/8/6

Ich träumte von einer Hochebene. Sie lag auf elfeinhalbtausend Metern, war wunderschön, aber unbewohnbar.

 

2020/8/5

Ich träumte, dass sich Mina auf dem Spielplatz an einer Scherbe verletzte. Es tat kurz weh, doch dann trat eine interessante Flüssigkeit aus dem Fuss, die sie mit der Hand auffing, über’s Bein strich, über das andere Bein, auf die Hände, die Arme, auf den Bauch und schliesslich ins Gesicht und hinter die Ohren. Sie sass eine ganze Weile lang in dem Sandkasten und bemalte sich, während ich auf einer Parkbank sass und und durch die Neuigkeiten scrollte. Ich war froh, dass das Kind beschäftigt war. Womit, fiel mir erst auf, als er die Sirene der Ambulanz aufheulte. Eine Passantin hatte das Kind, komplett blutverschmiert, auf dem Spielplatz gesehen und die Polizei alarmiert. Dass ein Mann da sass, hatte sie auch gesehen, doch gedacht, es handle sich um einen Irren.

 

2020/8/4

Ich träumte, dass sich alle Sirenen, die man tagein, tagaus so hört, wieder in jene reizenden Meereswesen verwandelten, deren Namen sie tragen.

 

2020/8/3

Ich träumte, ich hätte einen Country-Song geschrieben, er hiess «Everyone’s Amazing (But Me)». Leider hab ich – unamazing wie ich bin – die Melodie vergessen.

 

2020/8/2

Ich träumte von Schützengraben-Soldaten, die sich statt mit Handgranaten mit Himbeeren bewarfen.

 

2020/8/1

Ich träumte, dass von einem Grill in einem Schweizer Einfamilienhausquartier die krassesten Rauchzeichen aufstiegen – Botschaften, die gegen ziemlich jedes geschriebene und ungeschriebene Gesetz verstiessen – die aber niemand als solche erkannte und die deshalb unbehelligt entschwebten.

 

2020/7/31

Ich träumte von einer heiligen Kuh. Sie hiess «Hitler» und trampelte 50 Jahre lang durch die Slums von Rajasthan. Schliesslich wurde sie als Bandwurm wiedergeboren.

 

2020/7/30

Ich träumte, dass ich einen Ausweg suchte, aber immer wieder vor dem Eingang stand.

 

2020/7/29

Ich träumte von zwei lässig übereinandergeschlagenen Beinen. So lässig und locker sassen sie da, so selbstverständlich und entspannt, dass niemandem auffiel, dass sie allein waren, ohne einen Oberkörper.

 

2020/7/28

Ich träumte von einer Weltgegend, in der der Abend direkt auf den Morgen folgte, unter Auslassung des Mittags. Es gab deutlich weniger Dürren dort, weniger warmen Weisswein und weniger Kopfweh.

 

2020/7/27

Ich träumte von einem Bett, das, als ich hineinschlüpfte, zu Zement erstarrte. Ich musste die ganze Nacht reglos ausharren.

 

2020/7/26

Ich träumte von einem Hirschkäfer, der mit seinem riesigen Geweih alle Widersacher aus dem Weg räumte. Als er seine Gabeln im Triumph in den grünen Waldhimmel reckte, kam ein Schatten über ihn – und das Huf eines Hirschs zerdrückte ihn.

 

2020/7/25

Ich träumte, dass ich durch Kleider sehen konnte. Allerdings durchbohrte mein Blick auch die Haut; ich sah überall Skelette.

 

2020/7/24

Ich träumte von einer Frau, die sich all ihre Freiheiten nahm, während ihr Mann all seinen Zwangsneurosen frönte. Sie waren wie Yin und Yang.

 

2020/7/23

Ich träumte von Elementarteilchen, und mir fiel auf, dass wir alle aus demselben Holz, also denselben Atomen geschnitzt sind. Keinerlei Unterschiede auf diesem Level.

 

2020/7/22

Ich träumte, dass mein Bart aufgrund einer Mutation zehn mal schneller wuchs. Ich verbrachte jetzt sehr viel Zeit mit Rasieren – hatte aber auch viel Zeit, nachzudenken. Unter dem Strich eine gute Sache.

 

2020/7/21

Ich träumte von einem Zündholz, das sich kurz vor der Erleuchtung das Genick brach.

 

2020/7/20

Ich träumte, dass ich einen vergeblichen Anlauf machte, vergass aber, für was. So kam es dann auch nicht mehr drauf an.

 

2020/7/19

Ich träumte von einem Feuer, das im Rhythmus von «Human Behaviour» tanzte. Björk hatte das Holz geschichtet.

 

2020/7/18

Ich träumte von der allerersten reifen Heidelbeere des Sommers. Sie hing an einem südwärts blickenden Strauch im Maderanertal und hatte zu jeder Tageszeit Sonne; der Schatten der nahen Kiefern, Fichten und Vogelbeerbäumen erreichte sie nicht, auch nicht jener der Blättchen des eigenen Strauches, an dessen oberstem Ende sie sass, und – im Corona-Frühling 2020 – nicht einmal der Schatten eines Flugzeugs. So war diese Beere schon weich und schwarzblau, als all ihre Schwestern noch grün und hart dem Sommer entgegenstarrten. Als dieser dann kam und der erste Wanderer in den Strauch griff, war sie aber längst eingetrocknet und schrumpelig geworden; er liess sie unbeachtet hängen.

 

2020/7/17

Ich träumte von einem alten Haus. Es war unbewohnt, hatte knarzende Dielen, und ich musste sehr vorsichtig gehen, um die Toten nicht zu wecken.

 

2020/7/16

Ich träumte von einem Mann, der als Bub Pirat hatte werden wollen. Jetzt drückte er stattdessen wie wild hundert mal pro Tag die Enter-Taste.

2020/7/15

Ich träumte von einem Kind, das sich neben eine Regenpfütze kniete und das Wasser aufzuläppeln begann. «Sag mal, spinnst du?» rief die Mutter. – «Wieso? Ich trinke nur Wasser.» – «Regenwasser!» Sie zerrte es von der Pfütze hoch. «Sag mal, spinnst du? Davon wird man krank!» – «Das glaub ich nicht», sagte das Kind. Warum werden dann Katzen nicht krank davon? Und Hunde? Und Vögel? Und die Würmer?» – «Die werden sehr wohl krank davon. Komm.» – «Und warum sieht man nie kranke Tiere?» – «Weil sie daran gestorben sind.» – «Sterben müssen wir sowieso», sagte das Kind.

 

2020/7/14

Ich träumte von einem perfekten Menschen, der aussah wie jener auf da Vincis Zeichnung und sich bewegte, in dem er fortwährend das Rad schlug. Es lief alles rund für ihn, bis er eines Tages bei Rot über die Strasse rollte.

 

2020/7/13

Ich träumte von einem Mann, der das Einschlafen derart anstrengend fand, dass er sich nach jeder geschafften Nacht erst mal ein Feiermorgenbier gönnte.

 

2020/7/12

Ich träumte von Joghurt, viel, viel Joghurt. Ohne besondere Assoziationen.

 

2020/7/11

Ich träumte von einem Journalisten, der nach Eigenaussage für die NZZ schrieb, für den Standard, die FAZ, die Republik, La Repubblica, The New York Times, The Atlantic, The Economist, die Süddeutsche, Die Zeit, Le Figaro, Le Monde, für den Guardian, den NME, für die Washington Post und für die Tierwelt. All diesen Zeitungen bot er tatsächlich regelmässig Artikel an, die sie wiederum ausnahmslos alle ablehnten. Das sollte ihn aber nicht daran hindern, weiterhin für sie zu schreiben.

 

2020/7/10

Ich träumte von einer neuen Farbe, die weder mit Gelb, Grün, Blau oder Rot irgendwelche Ähnlichkeit hatte. Ausserirdische hatten sie mitgebracht; auf dem Planeten, von dem sie kamen, war es die Trendfarbe des Sommers 2020.

 

2020/7/9

Ich träumte, dass Darmstadt sich Dharma nannte und ein Grossteil der Bevölkerung zum Buddhismus übertrat. Der Tourismus florierte derart, dass die erste Nachahmerin, Schweinfurt (Sauafurta) nicht lange auf sich warten liess.

 

2020/7/8

Ich träumte, dass Elon Musk ferngesteuerte Sonnenschirme ins All schiessen liess, die ungefähr die Fläche einer kalifornischen Villa abdeckten. Er verkaufte derart viele davon, dass das Klima in reicheren Regionen auf eiszeitliches Niveau absank.

 

2020/7/7

Ich träumte, dass die Tracing-App zusätzlich angab, wenn du Kontakt mit einem Verschwörungstheoretiker hattest.

 

2020/7/6

Ich träumte von einem Seeufer, an dem sich Laubgrün mit Wassertürkis mischte, und fragte mich, wieso es in der Natur keine hässlichen Farbkombinationen gibt.

 

2020/7/5

Ich träumte, dass sich Donald Trump über die Diskriminierung orangehäutiger Menschen beklagte.

 

2020/7/4

Ich träumte von einer Zeit, in der man etwas entdecken konnte, das noch niemand anders entdeckt hatte.

 

2020/7/3

Ich träumte von einem, der aus Platzgründen nicht alle Tassen im Schrank haben konnte.

 

2020/7/2

Ich träumte von einem Gewitter, das von Freiluft-Event zu Freiluft-Event zog, ohne sich jemals zu entladen. Es wartete jeweils nur, bis die Veranstaltung abgesagt werden musste, und wanderte dann schadenfreudig weiter.

 

2020/7/1

Ich träumte von einem sogenannten «coronalen Massenauswurf», wachte auf und erinnerte mich erleichtert, dass es sich dabei um etwas handelt, das in circa 150 Millionen Kilometern Entfernung passiert, also deutlich jenseits des vorgeschriebenen Sicherheitsabstands von 1.5 Metern.

 

2020/6/29

Ich träumte von Fallzahlen, die stiegen und stiegen, obwohl sie doch eigentlich Fallzahlen waren.

 

2020/6/28

Ich träumte, dass ich in der Badewanne einschlief und auf dem offenen Meer erwachte.

 

2020/6/27

Ich träumte, dass Noah – bereits in See gestochen – noch einmal umkehren musste, weil er das Stechmücken-Pärchen vergessen hatte.

 

2020/6/26

Ich träumte von einem Duschgel, das derart belebend war, dass seine Wirkung über den Tod hinaus anhielt.

 

2020/6/25

Ich träumte von einer Künstlerin, die einen Eisblock ins Museum stellte und ihn dort vor sich hinschmelzen liess. An der Wand installierte sie einen Regler, mit dem die Raumtemperatur auf Null oder tiefer runtergedreht werden konnte. Das tat allerdings kaum jemand, und so dauerte die Austellung nicht sehr lange.

 

2020/6/24

Ich träumte von einem Vogel, der aus dem Nest stürzte, und – unglaublicher Zufall – in ein anderes Nest auf einem unteren Ast fiel. Als ihn die dortigen Eltern entdeckten, schubsten sie ihn allerdings gleich wieder raus.

 

2020/6/23

Ich träumte von einem Pralinato-Eis, dem der Schokostengel fehlte. Ich ging zurück zum Kiosk, um mich bei der Verkäuferin zu beklagen, aber die Beweisführung mit leerem Stengel erwies sich als schwierig. Ich musste mit der Ungerechtigkeit leben.

 

2020/6/22

Ich träumte von einer Wolke, die so stark anschwoll, dass sie einen ganzen Kontinent überschattete. Am Ende platzte sie vor Stolz.

 

2020/6/21

Ich träumte von einem Physiker, der sich auf dem Weg zu einer Weltformel glaubte. Nach einigen Monaten fiebrigen Rechnens wies ihn eine Studentin auf einen Denkfehler hin. Er gab auf und widmete sich fortan dem Phänomen schwarzer Regenbögen.

 

2020/6/20

Ich träumte von einem alten Besen, der für nichts mehr ausser zum Fliegen taugte.

 

2020/6/19

Ich träumte von Karl dem Kleinen, dem weitgehend unbekannten Stiefbruder Karls des Grossen. Klein an Gestalt, verfügte er aber über einen erstaunlich grossen Hippocampus, und war deshalb Zeit seines Lebens deutlich glücklicher als sein berühmter Bruder.

 

2020/6/18

Ich träumte von einer Rückkehr des Ornaments. Jetzt, wo Häuser in 3D-Druck gebaut wurden, konnte man Computer mit Mustern füttern, die früher Tausende von Steinmetzen Tausende von Tagen gekostet hätten. Das Zeitalter dieses «Roboter-Barock» war allerdings nur von kurzer Dauer; ihm folgte schon bald die «Neue Nüchternheit».

 

2020/6/17

Ich träumte einen Romananfang: «Im Oktober 2020 fuhr ich nach Berlin, um mit der Stadt abzurechnen.»

 

2020/6/16

Ich träumte von einer Frau, die eines Morgens mit zwei neuen Zellhäufchen in ihrem Bauch erwachte. Die einen Zellen waren die eines Kindes. Die anderen die eines Tumors.

 

2020/6/15

Ich träumte von einer Gesellschaft, in der die Hautfarbe gleich wichtig war wie die Haarfarbe.

 

2020/6/14

Ich träumte von einem Tiefseefisch, der auf dem Meeresboden einen Taschenspiegel fand und ob sich selbst derart erschrak, dass sein Lämpchen in einem Kurzschluss erlosch.

 

2020/6/13

Ich träumte von einem Kind, das beim Versteckspiel ein richtig gutes Versteck fand. Als die Polizei es gegen Mitternacht endlich entdeckte, ziemlich unterkühlt, fragte es als erstes, ob es gewonnen habe.

 

2020/6/12

Ich träumte von einer Regisseurin, die auf der Bühne Hexen verbrennen liess. Die Schauspielerinnen schrieen 60 Minuten lang in den Flammen eines riesigen Hologramm-Scheiterhaufens. Zum Schluss setzte plötzlich Platzregen ein, doch das bekamen die meisten Zuschauer nicht mehr mit.

 

2020/6/11

Ich träumte, das Jesus in allen römischen Kneipen Hausverbot erhielt, nachdem er wiederholt Wasser bestellt und es in Wein verwandelt hatte.

 

2020/6/10

Ich träumte von einem Kind, das statt Blockflöte lieber Trübsal blasen wollte.

 

2020/6/9

Ich träumte von einem Manager, der in einer Drehtür stolperte und sich einen Vorderzahn ausbrauch. Er liess ihn durch einen Goldzahn ersetzen und schrieb sich für einen Boxkurs ein.

 

2020/6/8

Ich träumte von elastischen Schuhbändeln, die beide Schuhe miteinander verbanden und beim Gehen, in einer Art Rebound-Effekt, die Füsse vorwärts katapultierten.

 

2020/6/7

Ich träumte von einem Zwillingsforschungsexperiment, bei dem der eine Zwilling alles richtig machte, der andere alles falsch. Nach 40 Jahren trafen sie sich. Zwilling 1 litt an starker Migräne. Zwilling 2 hatte im Lotto gewonnen.

 

2020/6/6

Ich träumte einen Spiesser-Traum mit Klaus Kinski; er räumte die Abwaschmaschine aus.

 

2020/6/5

Ich träumte, dass ich versuchte, in den Zustand des «Flow» zu kommen. Als ich endlich drin war, tauchte vor mir eine Turbine auf.

 

2020/6/4

Ich träumte von einem Bettler, der per Bezahl-App betteln wollte. Allerdings fehlte ihm das nötige Kleingeld für ein geeignetes Telefon.

 

2020/6/3

Ich träumte von einem Maharishi, der über dem Boden schwebte. Nur zehn Zentimeter zwar – doch hoch genug, um sich bei der Landung übelst das Steissbein zu verstauchen.

 

2020/6/2

Ich träumte vom allerletzten Paar einer aussterbenden Nachtfalter-Art. Ich entliess das Falter-Männchen ins Freie, ohne zu wissen, dass sich das Weibchen ebenfalls im Haus befand.

 

2020/6/1

Ich träumte von einem Hobbygärtner, der sich ganz den Tomaten verschrieb. Er publizierte sogar ein Buch, in dem er sie liebevoll charakterisierte. So gab es zum Beispiel die eine Sorte, die er als «Die Freche» bezeichnete, eine andere nannte er «Die Exuberante», wieder eine andere schlicht «Die Schöne». Er starb, als er auf einer «Braven» ausrutschte.

 

2020/5/31

Ich träumte, dass der Heilige Geist – in der Gestalt einer Taube – Ostereier ausbrütete, aus denen dann wiederum kleine Weihnachtsmänner schlüpften.

 

2020/5/30

Ich träumte von einer Pestbeule, die sich nach dem Aufschneiden zur Erleichterung aller als unverdauter Roquefort erwies.

 

2020/5/29

Ich träumte von einer Frau, die ausgerechnet hatte, dass die kommende Nacht mit ihrem Freund die tausendundeinte sein würde.

 

2020/5/28

Ich träumte von Tortoises Musikalbum «Millions Now Living Will Never Die» und fragte mich, wann eigentlich Musik stirbt. Wenn sie niemand mehr hört? Oder erst, wenn sich niemand mehr an sie erinnert? Oder erst, wenn sie nirgends gespeichert ist und niemals mehr wiederentdeckt werden kann, auch nicht von Ausserirdischen?

 

2020/5/27

Ich träumte von einem Denkmal für eine namenlose Ratte. Sie war die allererste, die im Kampf um einen Corona-Impfstoff fiel.

 

2020/5/26

Ich träumte von einem riesigen Loch. Es hatte sich über Nacht aufgetan, unbemerkt, in der Wüste zwischen Elora und Rainbow Wells, Nevada. Die Behörden sperrten das Loch sofort ab. Es wurden Geologen bestellt. Niemand hatte auch nur die geringste Ahnung, wie und warum das Loch entstanden war. Roboter wurden hinuntergelassen, mit Kameras, kilometertief; auch sie brachten keine Erkenntnis zu Tage. Das grosse Loch blieb ein grosses Rätsel, doch die Welt gewöhnte sich langsam daran. Erst nach 17 Jahren brach plötzlich Panik aus. Aus dem Loch war ein Furzgeräusch entwichen.

 

2020/5/25

Ich träumte von einem Mann, der sich streng an das Sprichwort hielt: «Kommt Zeit, kommt Rat.» Als dann Rat nicht kam, schritt er zur Tat.

 

2020/5/24

Ich träumte von einem Friedhofsgärtner, der ein Buch über den Düngeffekt menschlicher Kadaver schrieb. Nachdem er keinen Verlag dafür fand, wechselte er das Genre und verfertigte fortan Gedichte im Stil Baudelaires.

 

2020/5/23

Ich träumte von einem historischen Versäumnis. Weil es aber alle, wirklich alle versäumten, war das Versäumnis niemandem bewusst, und alles ging seinen gewohnten Weg.

 

2020/5/22

Ich träumte von einer Zecke, die sich an mir festgebissen hatte und über Nacht auf einen Meter Durchmesser anschwoll, während ich auf einen Millimeter zusammenschrumpfte. Am Morgen entdeckte mich die Zecke, und es gelang ihr, mich zu entfernen.

 

2020/5/21

Ich träumte an Auffahrt von einer Abfahrt, konkret: vom Lauberhorn. Jetzt habe ich Schuldgefühle.

 

2020/5/20

Ich träumte von einem Floristen namens Novalis, der ausschliesslich blaue Blumen verkaufte. Sein Geschäft erwies sich als krisensicher.

 

2020/5/19

Ich träumte von einem Vogel, der, statt zu singen, den ganzen Tag twitterte. Er löste diverse Shitstorms aus, trieb den Bitcoin-Preis in ungeahnte Höhen, stürzte Regierungen, machte Präsidenten – nur Freundin hatte er immer noch keine.

 

2020/5/18

Ich träumte von vier bösen Jungs, die eine Band namens «Zweite Welle» gründeten. Debütalbum: «Die Hoffnung stirbt zuerst».

 

2020/5/17

Ich träumte von zwei Verliebten, die ihre Initialen in einen Baumstamm ritzten. Als ihre Liebe nach Jahren erlosch und der Mann das Emblem wegkratzen wollte, war es so weit in die Höhe gewachsen, dass er es nicht mehr erreichen konnte.

 

2020/5/16

Ich träumte, dass Gott statt auf «Pause/Play» versehentlich auf «Off» drückte.

 

2020/5/15

Ich träumte von einem älteren Mann, der sein Luftgewehr aus dem Schrank holte, um auf einen kläffenden Hund zu schiessen. Als er das Fenster öffnete, das Gewehr anlegte und den Mops ins Visier nahm, knallte hinter ihm die Zimmertür zu. Er fuhr zusammen, das Gewehr entglitt ihm und fiel der Hundebesitzerin auf den Kopf, die unter seinem Fenster stand. Später gab er zu Protokoll, dass er weder sie hätte töten wollen, noch ihren immer noch kläffenden Hund.

 

2020/5/14

Ich träumte, dass das schlechte Wetter offiziell nicht mehr aus Westen, sondern aus dem fernen Osten kam. Donald Trump hatte das so festgesetzt.

 

2020/5/13

Ich träumte, dass es dreizehn schlug – aber niemand hatte mitgezählt.

 

2020/5/12

Ich träumte von einem Buch mit sieben Siegeln. Nachdem sie endlich alle aufgebrochen waren, stellte sich heraus, dass es langweilig war.

 

2020/5/11

Ich träumte von zwei Kindern, die ihren Schulweg abkürzten, quer über eine ungemähte Wiese. «Geht’s euch noch? Sofort zurück!» schrie ihnen eine Frau vom Fussweg aus nach. «Ihr drückt das Gras platt! Das geht doch nicht! Auf dieser Wiese müssen Kühe grasen!» – «Ach was, rief eines der Kinder zurück. Demnächst kommen hier sowieso Häuser hin.» «Und ausserdem», rief das andere, «ist Kuhmist schlecht für das Klima.»

 

2020/5/10

Ich träumte von einem Frühstücksei, das versehentlich befruchtet worden war. Ich musste mir Mühe geben, den Embryo vor Mina zu verstecken.

 

2020/5/9

Ich träumte von einem Gartencenter, das Galgenstricke verkaufte, als Teil einer knallharten Wachstumsstrategie. Wenn sich Gärtner aufhängen, so die Überlegung, nehmen sie weniger Wohnraum in Anspruch, und es entsteht mehr Gartenplatz.

 

2020/5/8

Ich träumte von einer Frau, die nach 60 Jahren Quark- und Joghurtessen endlich einmal wissen wollte, worin sich die beiden unterscheiden. Sie fragte den Mann, der im Supermarkt hinter der Käsetheke stand. Er konnte ihr nicht antworten. Dann fragte sie einen Bauern, den einzigen, den sie kannte – er wusste es nicht. Schliesslich half ihr ihre Enkelin: Sie schlug Quark und Joghurt bei Wikipedia nach.

 

2020/5/7

Ich träumte vom Tod, dem wir laut Lucretius nie persönlich begegnen werden – und fragte mich, ob wenigstens eine Skype-Konferenz mit ihm möglich wäre.

 

2020/5/6

Ich träumte von einer Smart-Hose, deren Länge und Weite verstellbar waren. Ein eingenähter Chip glich den aktuellen Schnitt mit den neusten Trends ab, und bei Freigabe von Geo-Daten passte sich die Hose der Umgebung an. So schrumpfte sie zum Beispiel auf die Hälfte zusammen, sobald man die Duckduck Bar in Brooklyn betrat.

 

2020/5/5

Ich träumte dass alles, wirklich alles, an einem seidenen Faden hing. Der Grossen Seidenraupe im Himmel wurde das irgendwann zu belastend, und so biss sie den Faden durch.

 

2020/5/4

Ich träumte von einer Pille, die uns ewiges Leben bescherte. Kaum erfunden, wurde sie allerdings vom BAG gleich wieder verboten, denn wir waren schon bald so viele, dass von ernsthaftem Social Distancing keine Rede mehr sein konnte.

 

2020/5/3

Ich träumte von einem Kuchenkrümel, der auf dem Teller liegenblieb. Er wurde in den Abfall gewischt, obwohl er weder in punkto Geschmack noch in punkto Textur noch in punkto Nährwert auch nur das Geringste zu wünschen übrig liess.

 

2020/5/2

Ich träumte, dass ich in einem selbstfahrenden Auto sass und ganz aufgeregt war. Leider fand ich den Startknopf nicht.

 

2020/5/1

Ich träumte von einem Mai, der auf vielfachen Wunsch nicht alles neu machte, sondern den gewohnten Zustand wiederherstellte.

 

2020/4/30

Ich träumte, dass der Segen von gestern (siehe Halbtraum vom 29. April) seinen Ursprung am Amazonas hatte. Einem dortigen Stamm war es gelungen, den traditionellen Regentanz durch eine leichte Änderung der Choreografie in einen Segentanz zu verwandeln.

 

2020/4/29

Ich träumte, dass es eines Morgens plötzlich zu segnen anfing. Erst segnete es nur tröpfchenweise, doch schon bald gingen örtliche Segengüsse in einen anhaltenden Starksegen über. Ganze Landstriche wurden über Tage gesegnet. Glückliche Zeiten brachen an.

 

2020/4/28

Ich träumte von einer Tracing-App, die erkannte, wer mit einem Tweet von Donald Trump in Berührung gekommen war. Die Betroffenen durften viereinhalb Jahre lang ihren Homescreen nicht verlassen.

 

2020/4/27

Ich träumte von einem Kind, das eines Morgens ins Elternschlafzimmer kam und zwei völlig fremde Menschen im Bett sah. Es erschrak, rannte aus dem Zimmer und schrie: «Wo sind Mama und Papa? Wo sind Mama und Papa?» – «Hier! Wir sind hier!» riefen sie ihm nach, doch das Kind kam nicht mehr zurück.

 

2020/4/26

Ich träumte von einem Mann, der 82 wurde, was der männlichen Lebenserwartung entspricht. Er feierte noch einmal Geburtstag und sagte dann alle Termine ab: «An dem von Dir/Ihnen vorgeschlagenen Datum bin ich wahrscheinlich tot und damit verhindert.»

 

2020/4/25

Ich träumte, dass Gevatter Tod eine neue Sense kaufen wollte. Leider hatte das Gartencenter noch geschlossen.

 

2020/4/24

Ich träumte von einem Specht, der sich in den «Weltinnenraum des Kapitals» von Peter Sloterdijk vorhämmerte. Sein Fazit nach getaner Arbeit: Dieses Buch wäre besser Baum geblieben.

 

2020/4/23

Ich träumte von einem Vogel, der gegen eine Fensterscheibe flog. Er fiel hinunter auf die Strasse und blieb neben einer Katze liegen – einer Katze, die allerdings kurz davor von einem Auto angefahren worden war. Jetzt lagen die beiden tot nebeneinander.

 

2020/4/22

Ich träumte von einem Terroristen, der beschloss, statt Anschlägen Vorschläge zu machen.

 

2020/4/21

Ich träumte, dass das Neandertal zum Silicon Valley Europas wurde. Die Neandertaler Tech-Startups entwickelten eine künstliche Intelligenz, die ihrerseits den Homo Sapiens vom Planeten Erde verdrängte.

 

2020/4/20

Ich träumte von einer Volksabstimmung über das Tragen weisser Hemden. Die Initianten führten an, dass diese sehr oft gewaschen würden und deshalb unökologisch seien. Sie kamen mit ihrem Verbotsentwurf durch; nicht zuletzt, weil das Gegenkomitee nur aus Bankern und Sektenführern bestand.

 

2020/4/19

Ich träumte von einer Kuh, die ihre Fladen im Abstand von mindestens zwei Metern fallen liess, damit die Fliegen sich nicht zu nahe kommen mussten.

 

2020/4/18

Ich träumte von Coiffeursalons, die im Hinblick auf die kommende Kundenwelle Intensivstationen einrichten mussten.

 

2020/4/17

Ich träumte, dass sich Gott und Adam in der Sixtinischen Kapelle – jetzt, wo keine Touristen zuschauten – endlich näherkommen konnten.

 

2020/4/16

Ich träumte, dass der Karneval in Venedig doch noch stattfand: Alle trugen FFP-Masken. Auch die Basler durften Fasnacht feiern – unter der Bedingung, dass sie ihre Hände und Piccolos regelmässig in heisser Mehlsuppe wuschen.

 

2020/4/15

Ich träumte von einem hochbegabten Kind, dessen Lehrer verzweifelt nach Aufgaben suchte, die es nicht unterforderten. Er trug ihm auf, nach einer Weltformel zu suchen. Es begann zu rechnen, fand die Formel tatsächlich – doch als es sah, was dabei rauskam, wagte es sie niemandem zu zeigen.

 

2020/4/14

Ich träumte, dass sich das blaue Band, das der Frühling flattern lassen wollte, in einer Hochspannungsleitung verfing.

 

2020/4/13

Ich träumte von einer Augenkrankheit, deren Opfer nur noch rot sahen. Weil sie sich als untherapierbar erwies, begannen einzelne Patienten eine Brille aus Milchglas zu tragen. So sahen sie die Welt rosa.

 

2020/4/12

Ich träumte von einem Wanderprediger, der seine Popularität in den Dienst der #stayhome-Kampagne stellte und trotz des prächtigen Osterwetters zu Hause in seiner Grabkammer blieb.

 

2020/4/11

Ich träumte von Jägern und Gärtnern, von Hemingway und Thomas Bernhard. Träumte davon, wie Hemingway die einen mochte, Bernhard die andern. Träumte, dass Hemingway mehr konnte, Bernhard aber mehr wusste.

 

2020/4/10

Ich träumte, dass Jesus in einer sehr toleranten Zeit aufwuchs und 99 wurde statt nur 33. Dann aber steckte ihn Judas mit Corona an, weil sie sich nicht an die Abstandsregel hielten.

 

2020/4/9

Ich träumte von einem Mann, der das Sprichwort «The best is always yet to come» zu seinem Lebensmotto machte. Kurz darauf fiel ihm ein besseres ein.

2020/4/8

Ich träumte, dass die Swiss Kredit verlangte, um Silberstreifen an den Horizont zu malen.

 

2020/4/7

Ich träumte von einem Vogel, der gegen eine Fensterscheibe flog und durch die Gehirnerschütterung eben jene Melodie vergass, die ihm bis anhin alle Herzen erobert hatte.

 

2020/4/6

Ich träumte von einem, der jeden Tag mit dem linken Fuss aufstand – weil er nur diesen hatte.

 

2020/4/5

Ich träumte von Bäumen und Sträuchern, die blühten, bevor sie sich neue Blätter zulegten. Und fragte mich, ob Maslows Behauptung, dass Nahrung wichtiger sei als Sex, wirklich auf alle Wesen der Schöpung zutrifft.

 

2020/4/4

Ich träumte von einem Mädchen, das sein liebstes Wimmelbuch aufschlug, aber ausser ein paar Tauben und einem streunenden Hund nichts mehr entdeckte.

 

2020/4/3

Ich träumte von Frau Holles Grabstein. Er war mit einem Moos überwachsen, das in diesen Breitengraden bislang nicht vorkam.

 

2020/4/2

Ich träumte von einem Quarantänen-Roman namens «Hier».

 

2020/4/1

Ich träumte von einem US-Präsidenten Biden. Dann ging der Telefonwecker an und zeigte mir das Datum.

 

2020/3/31

Ich träumte von einer extrem progressiven Band. Leider erlebte sie nie jemand live, weil sie der Zeit immer weit voraus war.

 

2020/3/30

Ich träumte von einer Regierung, die die Winterzeit verlängerte, um eine Stunde im Kampf gegen Corona zu gewinnen.

 

2020/3/29

Ich träumte von einem alten, bärtigen Mann, der ein grosses Schiff baute. Er nannte es «Hoffnung». Als es fertig war, liess er es fahren.

 

2020/3/28

Ich träumte von einem Dadaisten namens Hannes Reh, der sich H. Reh nannte, eine Frau namens Krishna heiratete und seine Tochter auf den Namen Kartoffelpü taufte.

 

2020/3/27

Ich träumte – leider nicht, es ist wahr – dass meine Cousine, 25 Wochen schwanger, einen geplatzten Blinddarm operieren musste. Mutter und Kind sind wohlauf.

 

2020/3/26

Ich träumte, dass das Coronavirus mutierte und das Internet befiel. Jetzt endlich hatten die Leute die Ruhe, die für Quarantänen typisch sein soll.

 

2020/3/25

Ich träumte von einem Mädchen, das eine schwarz-weisse Geiss gesehen hatte. So eine wünschte es sich in Plüsch. Der Vater graste das Internet ab, doch er fand nur vollständig schwarze oder aber vollständig weisse Geissen. Eine dieser letzteren kaufte er und tunkte ihr Hinterteil in einen Topf mit schwarzer Baumwollfarbe. Er schenkte sie seiner Tochter. Die sagte: «Nein, vorne schwarz und hinten weiss!»

 

2020/3/24

Ich träumte von einem Atemschutzmasken-Hersteller, der die Produktion auf T-Shirts umstellte. Darauf stand: «I’ve had it, you can kiss me!»

 

2020/3/23

Ich träumte von einem Obdachlosen, der die Ausgangsregeln einhalten wollte.

 

2020/3/22

Ich träumte von einem Spaziergänger, der, inspiriert von Reinhold Messner, den Vorsatz fasste, alle Achthunderter zu besteigen. Er schaffte zwar nur 346 Gipfel, doch im Gegensatz zu Messners Rekord bleibt der seine bis heute unerreicht.

 

2020/3/21

Ich träumte von einem Hammer, der Zeit seines Lebens keinen Nagel auf den Kopf traf. Er gab die Schuld den Händen, die ihn hielten, und hatte damit nicht Unrecht.

 

2020/3/20

Ich träumte von einem Winter, der zu Ende ging, obwohl er gar nie begonnen hatte.

 

2020/3/19

Ich träumte von einer Schicksalsgöttin, der eines Morgens plötzlich das Garn ausging. Grosse Langeweile trat ein.

 

2020/3/18

Ich träumte von der allerersten Frau, die einen Urururenkel bekam. Sie wollte ihn auf dem Arm halten, doch er war bereits digitalisiert.

 

2020/3/17

Ich träumte von einem Virus, das keinen Wirt mehr fand, der noch offen hatte. Es ertränkte seinen Kummer in einer Überdosis Desinfektionslösung.

 

2020/3/16

Ich träumte (schon wieder) davon, dass die Erde sich plötzlich nicht mehr weiter drehte – weder um sich selbst, noch um die Sonne. Grosse Migrationsbewegungen setzten ein. Das beliebteste Ziel war der Frühlingstag.

 

2020/3/15

Ich träumte von einer Gletscherzunge, die sich derart schnell zurückzog, dass sie die Alpinisten, die sich auf ihr befanden, allesamt verschluckte.

 

2020/3/14

Ich träumte von vier Zwangsneurotikern, die zusammen Fondue assen. Natürlich mussten sie den Käse unbedingt in Form einer Acht umrühren. Als einer von ihnen bemerkte, dass jede Acht von der Seite betrachtet wie ein Unendlichkeitszeichen aussieht, konnten sie mit dem Umrühren nicht mehr aufhören. Wahrscheinlich starben sie irgendwann – wie jeder, der nie zum Essen kommt – und falls nicht, dann rühren sie heute noch.

 

2020/3/13

Ich träumte, dass Frankreich und Deutschland ihre Burka-Verbote wieder aufhoben und stattdessen die Burka-Pflicht einführten: um die Bevölkerung vor Tröpfcheninfektionen zu schützen.

 

2020/3/12

Ich träumte von Charles Baudelaires Herz. Es lag auf einem Seziertisch und fing auf einmal wieder zu schlagen an.

 

2020/3/11

Ich träumte von einer exponentiellen Kurve, die derart steil anstieg, dass sie auf dem Höhepunkt einen Rückwärtssalto schlug. Als die Experten verstanden, was das bedeutet, war es leider bereits zu spät.

 

2020/3/10

Ich träumte von einem Schwimmer, der sich mit der klebrigen Badekappe versehentlich den ganzen Kopf vom Leib riss. Der Bademeister sagte, das gehe nicht.

 

2020/3/9

Ich träumte von einer Frau, die so viele Pflanzen in ihrem Wohnzimmer hatte, dass ihr bester Freund von einem «Dschungel» sprach. Dieser beste Freund war es, der ihr eines Tages eine späte Heirat antrug. Sie nahm an, doch leider starb er bald darauf an einer Tropenkrankheit. Sie verwendete seine Asche als Dünger.

 

2020/3/8

Ich träumte von einem Pantoffelhelden, der von seiner Frau zum Geburtstag ein Paar Reiterstiefel bekam. Er verstand den Wink, nahm ein paar Reitstunden, fiel vom Pferd und brach sich das Genick.

 

2020/3/7

Ich träumte von einer Brille, durch die man Corona-Viren sehen konnte. Die Leute, die sie trugen, schlingerten wie betrunken durch die Stadt.

 

2020/3/6

Ich träumte von den «Sultans of Swing» – den Vorbildern für den gleichnamigen Song –, die im Alter von 104 beschlossen, doch noch auf Welttournee zu gehen. Als Vorgruppe spielten Dire Straits.

 

2020/3/5

Ich träumte von einem Spital in Frankreich, das Corona-infizierte Menschen erst dann behandelte, wenn sie das Wort «Quarantaine» korrekt aussprechen konnten.

 

2020/3/4

Ich träumte von einem Politiker, der die Karo-Grösse seiner Hemden – kleinkariert, Vichy, Holzfällerflanell – dem jeweiligen Publikum anpasste. Schliesslich fehlten ihm die Stimmen der T-Shirt-Träger.

 

2020/3/3

Ich träumte von einer Gartenarchitektin namens Eva. Sie liess alle Bäume der Erkenntnis fällen und pflanzte stattdessen Kakao.

 

2020/3/2

Ich träumte von einem Banküberfall: «Geld her oder ich huste!»

 

2020/3/1

Ich träumte von einem Barolo, der «ungeahnte Tiefe entfaltete». Wer immer einen Schluck davon nahm, kippte unversehens vornüber ins Glas und tauchte nie, nie, nie mehr auf.

 

2020/2/29

Ich träumte, dass das Corona-Virus den Menschen als Wirt auf TripAdvisor mit 3.2 bewertete. Das Schwein bekam 4.6.

 

2020/2/28

Ich träumte von einem Menschen, der keinen anderen Menschen an sich heranliess. Sein Körperumfang erlaubte es nicht.

 

2020/2/27

Ich träumte von einer «Dreistaatenlösung», die neben Israel und Palästina noch einen winzigen Drittstaat vorsah: für vernünftige Menschen aus beiden Ländern.

 

2020/2/26

Ich träumte von einem apokalyptischen Reiter, der seinen Auftritt verpasste. Er nahm’s gelassen und sagte sich: «Morgen ist auch noch ein Tag.»

 

2020/2/25

Ich träumte von einem fliegenden Teppich, der immer dann abhob, wenn jemand etwas unter ihn kehren wollte.

 

2020/2/24

Ich träumte von einem Mann, der eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, sich aber nicht etwa verwandelt fand, sondern immer noch genau derselbe, durchschnittliche Typ war wie am Vortag.

 

2020/2/23

Ich träumte von einer Après-Ski-Bar, die ihre Terrasse mit Bier einschäumte, bis sie winterlich aussah. Die Stimmung war noch besser als sonst.

 

2020/2/22

Ich träumte von einem Murmeltier, das wegen der hohen Temperaturen und trotz der Ermahnungen seiner Eltern keinen Winterschlaf halten wollte. In der Folge war es den ganzen Frühling, Sommer und Herbst über quengelig.

 

2020/2/21

Ich träumte, dass die Erde ihre Rotation eines Tages plötzlich stoppte. Das Nachtleben fand ab diesem Zeitpunkt ausschliesslich in Asien statt.

 

2020/2/20

Ich träumte von einem Fasnächtler, der am Donnerstagmorgen pünklich um 5 Uhr auf dem Kapellplatz stand. Hier fand er sich allerdings allein – der Winter hatte nicht stattgefunden, es gab also nichts zu vertreiben, und der Anlass war deshalb abgesagt.

 

2020/2/19

Ich träumte von einem Mann, der einen Brief bekam mit der ominösen Aufschrift: «Öffnen lohnt sich nicht.» Er öffnete ihn natürlich doch und fand – dass der Umschlag leer war. Am nächsten Tag kam ein weiterer Brief, in einem grösseren Umschlag, und wieder stand darauf: «Öffnen lohnt sich nicht.» Der Mann war natürlich nicht bereit, zweimal auf denselben Witz reinzufallen. Aber gleichzeitig war er auch nicht so blöd, nicht zu merken, dass diesmal etwas drin war. Er riss den grossen Umschlag auf und fand darin einen kleineren. Darauf stand: «Öffnen lohnt sich nicht.»

 

2020/2/18

Ich träumte von einem Virus, das auf der Tastatur von Bankomaten hauste. Die Infizierten brauchten alles Geld, das sie abhoben, für die Arztrechnung.

 

2020/2/17

Ich träumte von einer Muse, die keine Lust mehr hatte, Künstler zu küssen. Sie begann stattdessen Buchhalter zu küssen. Die fühlten sich erst mal sehr geehrt und in höchstem Maße beflügelt, doch dann landeten sie allesamt im Gefängnis.

 

2020/2/16

Ich träumte von einem Mann, der all seine Freunde an seine Badewanne lud, um nach altrömischer Art – per Pulsaderschnitt – aus dem Leben zu scheiden. Statt den Freunden kam die Polizei, und er wurde in eine Klinik gebracht. Dort durfte er immerhin Seneca lesen.

 

2020/2/15

Ich träumte von einem Gespenst, das ausschliesslich denen erschien, die nicht an es glaubten.

 

2020/2/14

Ich träumte von einer Frau, deren Stiefel bei jedem Schritt durch den tiefen Schnee leise quietschten und erzitterten. Die Frau musste an Mäuse denken, die unter dem Schnee ihren Winterschlaf hielten. Sie konnte nicht mehr weitergehen.

 

2020/2/13

Ich träumte von einem, der sich so viel Mühe gab, dass er plötzlich zu viel davon hatte.

 

2020/2/12

Ich träumte von einer Schneeflocke, die schon bald nach ihrer Zeugung schmolz und deshalb nie zur Welt kam. Ihre Eltern, zwei Wolken, waren untröstlich und fluteten das Land mit Tränen.

 

2020/2/11

Ich träumte von einem Banker, der seines Jobs überdrüssig geworden war. «Andere opfern sich für die Gesellschaft», dachte er, «ich nehme sie aus». Er erinnerte sich an sein Handwerkstalent und begann Kleiderständer zu zimmern. Sein Lieblingsmodell hatte die Form eines Kreuzes. Daran hängte er fortan seine Hemden, manchmal auch eine Krawatte.

 

2020/2/10

Ich träumte von einer Nostalgikerin, die sich die Farbrezeptoren auf ihrer Netzhaut paralysieren liess. Fortan war ihre Welt schwarz-weiss.

 

2020/2/9

Ich träumte von einem Briefmarkensammler, dem Präsidenten des Regionalverbandes West-West, der seinen Philatelisten vorschlug, in Zukunft nicht mehr Briefmarken, sondern E-Mail-Protokoll-Codes zu sammeln. Dies, so er, sei der einzige Weg, die Philatelie zukunftsfit zu machen. Nach einigen schlecht besuchten Sitzungen wurde er unter einem Vorwand entmachtet.

 

2020/2/8

Ich träumte von einem Mann, der eine Kaffeetasse fallen liess. Sie war weder besonders schön, noch besonders wertvoll, noch sonstirgendwas. Doch es war die Lieblingstasse seiner Frau. Warum? Das wollte sie ihm nie sagen. Jetzt, während er die Scherben aufwischte, fragte er sie noch einmal danach. «Es war die einzige Tasse», sagte sie, «die ich schon vor dir besass.»

 

2020/2/7

Ich träumte, dass ein Astronom – ganz auf Exoplaneten fokussiert – an einem Milky-Way erstickte.

 

2020/2/6

Ich träumte von einem Trapper, der sich im Winter 1846 zu einer Hütte vorkämpfte, in der er schon oft übernachtet hatte. Als er sie völlig erschöpft erreichte, waren seine Finger zu steif, um die Türfalle von dem Eis zu befreien, das sich darum gebildet hatte. Er begann, das Eis wegzulecken – musste aber aufgeben, als sein Kiefer einfror.

 

2020/2/5

Ich träumte von einer Frau, die eines Morgens derart müde war, dass sie einfach nicht aufstehen mochte. Sie griff zu ihrem Telefon und meldete sich an der Arbeit krank. Darauf packte sie das schlechte Gewissen, und sie konnte nicht mehr einschlafen.

 

2020/2/4

Ich träumte von einem Skiliftsessel, dessen Bügel sich nicht schliessen liess. «Solange er fährt», sagte mein Sitznachbar, während wir über den Abgrund sausten, «kann uns eigentlich nichts passieren. Ein Problem wär nur, wenn der Lift plötzlich stoppt.» Wir redeten zur Ablenkung über das Wirtschaftswachstum – er war Ökonom – bis wir merkten, dass dort dasselbe galt. Darauf schwiegen wir, hielten uns aneinander, was natürlich sinnlos war, und hofften auf flüssige Weiterfahrt.

 

2020/2/3

Ich träumte von einem Meteorologen, der seine Wetterprognosen schönte: Wenn die Leute sich Schnee wünschten, sagte er statt Regen ebensolchen voraus, und wenn sie des Regens überdrüssig wurden, malte er eine Sonne an den Zeithorizont – auch wenn seine Daten was Anderes sagten. Als man ihm auf die Schliche kam und mit Entlassung drohte, gab er die Meteorologie von sich aus auf und wandte sich der Glücksforschung zu.

 

2020/2/2

Ich träumte von einem Herzen, das eines Morgens plötzlich arhythmisch schlug. Der Besitzer dieses Herzens erschrak, doch als er nach ein paar Stunden immer noch keinerlei Beschwerden hatte, beschloss er, nicht zum Arzt zu gehen, sondern eine Freejazz-Band zu gründen. Diese Band, schrieb ein Kritiker bald darauf, sei «etwas vom Authentischsten», was die Szene gegenwärtig zu bieten habe.

 

2020/2/1

Ich träumte von einer Wissenschaftlerin, die die Stimme von James Blunt analysierte. Ihr Team entwickelte in der Folge eine pränataldiagnostische Methode, dank der Stimmbandprobleme wie die von James Blunt schon im Frühstadium erkannt werden können.

 

2020/1/31

Ich träumte von einem Mann, der das Problem des Klimawandels mit einem Elefanten verglich, der in der Stube steht. «Man kann ihn natürlich ignorieren, Möbel abstauben, die Meerschweinchen füttern, oder einfach die Zeitung lesen. Aber was man auch tut, es wirkt lächerlich, so lange man sich nicht darauf verständigt, wie man den Elefanten rausbringt.» – «So ist es», rief ihm seine Frau zu, die in der Küche den Abwasch machte.

 

2020/1/30

Ich träumte von einem Mann, der erst seinen Zug verpasste und eine Stunde später in einen falschen einstieg. In dem Bahnhofscafé, wo er schliesslich strandete, lernte er seine spätere Frau kennen.

 

2020/1/29

Ich träumte von einem der seltsamsten Todesfälle aller Zeiten: Ein Hypnotiseur probte vor dem Spiegel und hypnotisierte sich dabei selbst. Einmal in Trance versetzt, wartete er auf Befehle – doch es kamen keine.

 

2020/1/28

Ich träumte von einem Sohn, der vergass, seiner 147-jährigen Mutter zum Geburtstag zu gratulieren. Glücklicherweise hatte sie ihren Sohn auch vergessen.

 

2020/1/27

Ich träumte von Katja Schnabel, der Erfinderin der «Smarties-Diät». Obwohl Frau Schnabels Methode – keinerlei Süssigkeiten ausser Smarties, davon aber jeden Tag eines, je nach Stimmung rosa, blau, grün, gelb, violett, orange, rot oder braun – obwohl also diese, ihre Diät erwiesenermassen bessere Resultate zeigte als die meisten Diäten, blieb Frau Schnabel Zeit ihres Lebens jegliche Anerkennung versagt, sowohl in wie auch ausserhalb von Fachkreisen.

 

2020/1/26

Ich träumte von einem Mann, der beschloss, nie mehr die Kontrolle zu verlieren. Er lebte ein sehr kontrolliertes Leben, bis er mit 58 von einer unkontrollierten Langläuferin angefahren wurde und verstarb.

 

2020/1/25

Ich träumte von einem Maulwurf, der schuld an einer Schienbeinkopffraktur, einem Kreuzbandriss, einem Schädeltrauma und ungefähr 13 Prellungen war. Er hatte seinen Hügel just an jener Stelle aufgeworfen, wo die Abfahrer in Kitzbühel die Kurve zum Zielschuss ansetzten.

 

2020/1/24

Ich träumte von einer Frau, die sich bei den Muotathaler Wetterschmöckern bewarb. Statt auf Tannenzapfen und Ameisen-Oberschenkeln wollte sie ihre Wetterprognosen auf die Grösse von Menschenhirnen abstellen. Je kleiner die Hirne, so ihre Voraussage, desto wärmer wird das Jahr.

 

2020/1/23

Ich träumte von einem Mann, der mit seiner Frau vor dem Scheidungsrichter sass. Dort platzte dem armen Kerl der Kragen – wortwörtlich, nicht im übertragenen Sinn. Sein Hemd (sein einziges weisses, das er schon zur Hochzeit getragen hatte) war ihm inzwischen deutlich zu eng, und der oberste Knopf hielt dem Druck nicht mehr stand. Der Knopf sprang mit einem Ploppgeräusch auf und gab ein Dreieck nackter Haut frei, auf der nun die Krawatte lag. Die Frau, die grad unterschreiben wollte, schreckte hoch und musste lachen, ihr Noch-Mann auch, und selbst der Richter. Als sich das Gelächter legte, begannen die Eheleute zu weinen. Die Scheidung fand nicht statt.

 

2020/1/22

Ich träumte von einer Metal-Band, die «Gründe zur Beunruhigung» hiess. Leider stiess sie auf wenig Medienecho.

 

2020/1/21

Ich träumte von einem Jäger, der im äussersten Norden Japans an einem Eisloch auf eine Robbe wartete. Als sie auftauchte, stach er zu, und das Loch im Eis färbte sich rot. Entgegen anderslautender Mythen war es diese alltägliche Episode – und nicht die aufgehende Sonne – die ihn zu Japans Flagge inspirierte.

 

2020/1/20

Ich träumte von einer Wahrsagerin, deren Glaskugel einen Sprung hatte. (Sie war beim Abstauben runtergefallen, doch das tut hier nichts zur Sache.) «Ich sehe ein grosses Zerwürfnis zwischen China und den USA», orakelte sie. Verblüffenderweise kam am selben Tag eine grossangelegte Studie des Institute for International Economics zu exakt demselben Schluss.

 

2020/1/19

Ich träumte von einem Mann, der beim Bügeln an die Frau denken musste, die diese Arbeit früher für ihn gemacht hatte. Darob vergass er das Bügeleisen und brannte ein Loch in die Hemdbrust.

 

2020/1/18

Ich träumte von einer Frau, die auf der Suche nach einem passenden Namen für ihr Lokal auf die Idee kam, es «Das nächste Café» zu nennen. Wer daran vorbeikommt, dachte sie, für den ist es wirklich das nächste Kaffee, und wäre hätte nicht schon den Satz gesagt: «Komm, gehen wir ins nächste Kaffee». Ihre Rechnung ging hunderprozentig auf – was im Gastgewerbe eine Seltenheit ist – und sie konnte schon nach anderthalb Jahren «Das übernächste Café» eröffnen.

 

2020/1/17

Ich träumte von einem Kind, das mit einer kopflosen Puppe angerannt kam. «Was ist denn mit der passiert?» fragte die Mutter. – «Sie will nicht drüber reden», sagte das Kind.

 

2020/1/16

Ich träumte von einer Tierart, die genau an der Grenze steht zwischen Tieren mit Bewusstsein und solchen ohne. Von einer Tierart also – vielleicht einer Qualle – die knapp imstande ist, Leid zu empfinden, oder eben nicht. Die Eltern dieser Tierart, denke ich, hoffen, dass ihr Kinder doof sind.

 

2020/1/15

Ich träumte von einem Einfamilienhausbesitzer, der es schaffte, sein Häuschen auf Passivhaus-Niveau zu bringen, indem er sämtliche Wände mit alten Lebkuchenherzen isolierte.

 

2020/1/14

Ich träumte von einem Eichhörnchen, das im Winter die Nüsse nicht mehr fand, die es im Herbst vergraben hatte. Nicht, weil so viel Schnee lag, sondern weil gar keiner gefallen war, der Vorrat offen da lag und von anderen Hörnchen gefressen wurde, die sich dem Klimawandel anpassten und früher aufstanden als es.

 

2020/1/13

Ich träumte von einem Mann, der von seiner Frau verlangte, dass sie sich die Achselhaare stehen liess. «Das wollte Napoléon auch so», sagte er, «von seiner Joséphine.» – «Du bist aber nicht Napoléon», sagte sie, «du bist Herbert. Und ich bin Trudy.» Das musste er akzeptieren, doch aus Trotz liess er sich einen Schnauzbart wachsen.

 

2020/1/12

Ich träumte von einer Schriftstellerin, die ganz genau wusste, dass sie vor Jahren eine Erzählung begonnen hatte, die «Ein Ort namens Nirgends» heissen sollte. Leider fand sie das Manuskript nicht mehr.

 

2020/1/11

Ich träumte von einem Meteorologen, der die Schneefallmenge statt in Zentimetern in Anzahl Flocken mass. Ende Saison zeigte sein Messgerät in Übereinstimmung mit traditionellen Verfahren den verblüffend präzisen Wert 0 an. Er liess die Methode patentieren und machte sich einen Namen als Konzept-Künstler.

 

2020/1/10

Ich träumte von einem Mann, der sich an einer Bibelstelle stiess: jener, wo es heisst, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild erschuf. «Wenn das so wäre», sagte der Mann, «dann könnte man sich ja ein Bild von ihm machen. Dann wüsste man ziemlich genau, wie er aussieht.» – «Ja, das stimmt», sagte seine Frau. «Zum Beispiel so wie Phil Collins.»

 

2020/1/9

Ich träumte von Zachary Maddox, dem Bassisten der «Freiliegenden Zahnhälse». Er verstarb im Alter von 28 Jahren, als er sich auf der Bühne in das Kabel seines Fender Precision verbiss.

 

2020/1/8

Ich träumte von einem Bub, der in der Umkleide eines Hallenbads ein Zweifrankenstück entdeckte. Es war in die Abflussrinne gefallen; durch den Spalt sah er es glitzern. Mit zwei spitzen Gegenständen, dachte der Bub, könnte man’s rausklauben. Er erinnerte sich an eine alte Frau, die im Café beim Eingang am Stricken war. Rannte raus, nahm all seinen Mut zusammen und fragte sie, ob er ihre Stricknadeln für fünf Minuten ausleihen dürfe. Er habe einen Zweifränkler verloren und wolle ihn damit retten. Die Nadeln könne sie ihm nicht geben, die müssten in der Wolle bleiben, sagte die Frau. «Aber weisst du was? Hier hast du ein anderes Zweifrankenstück.» Sie drückte ihm eines in die Hand, er bedankte sich und rannte zurück. Der Zweifränkler glitzerte immer noch. Plötzlich fiel dem Bub ein, dass er den Deckel der Rinne hochheben könnte. Er versuchte es, es ging sofort, er hob die Münze raus und schloss die Rinne wieder. Als er später aus dem Bad kam, sass die strickende Frau noch immer da. Er dachte daran, zu ihr hinzugehen und ihr ihr Geld zurückzugeben. Dann kam ihm sein Vater in den Sinn, der oft davon sprach, wie reich die alten Leute seien. Er winkte der Frau sehr freundlich zu und verliess das Bad mit vier Franken.

 

2020/1/7

Ich träumte, Gucci hätte ein Brillenmodell lanciert, das aussah wie zwei aneinandergehängte Klobrillen. Anfänglich verlacht, galt die Brille schon bald als Höhepunkt des «Bad-Taste»-Trends. Ein Fashion-Blogger wollte darin sogar ein politisches Statement sehen.

 

2020/1/6

Ich träumte von einem Dreikönigskuchen, der statt eines Plastik-Königs sechs Plastik-Demokraten enthielt. Sie stritten sich um das Mittelstück.

 

2020/1/5

Ich träumte von einer Gastgeberin, die ihre Gäste aus Rücksicht nicht küsste: «Besser nicht, ich habe Herpes!» Als später das Fondue auf den Tisch kam, streifte ihr Mann ihr jedes Brotstück von seiner Gabel auf den Teller. Einzelne Gäste gaben an, dass auch sie vorsichtig sein müssten: Sie litten an Laktose-Intoleranz.

 

2020/1/4

Ich träumte von einem Bettler, der nicht «Danke», sondern «Bitte» sagte, wenn man ihm eine Münze zuwarf. «Das Gefühl der Barmherzigkeit, dass Sie sich erkauft haben», teilte er mit, wenn sich jemand erkundigte, wie er das meinte, «ist mehr wert als Ihre Münze.»

 

2020/1/3

Ich träumte von einer Tourismusdirektorin, die die Hausdächer ihres Bergdorfs künstlich beschneien liess. Auf die Frage, ob das nicht dekadent sei – im Gegensatz zu den Skifahrern bräuchten ja die Shopper keinen Schnee – gab sie zur Antwort: Brauchen nicht, aber wollen, und ausserdem sei das Shopping bei Weitem der grössere Wirtschaftsfaktor.

 

2020/1/2

Ich träumte von einer Mutter, die den Glauben an die Menschheit verlor. Sie verlor ihn in dem Moment, als ihr Kind in einem Skianzug ins Haus kam, der von oben bis unten dreckig war. Ein Skianzug darf nass sein, dachte sie. Er darf zerrissen sein. Aber ein dreckiger Skianzug, das geht nicht.

 

2020/1/1

Ich träumte von einer Frau, die morgens den Sonnengruss übte, während ihr Mann ihr – ungefragt – das Wetter vorlas. Er sagte, es gebe Hochnebel.

31.12.2019 | Niko Stoifberg
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